Yoga und Dehnung


Im Yoga wird der Übende mit Bewegungsabläufen konfrontiert, die sich von denen des täglichen Lebens erheblich unterscheiden. Dadurch werden über Jahre nicht genutzte Muskeln wieder ins Bewusstsein gerufen.

  • Was passiert da eigentlich genau, wenn diese durch Nicht-Nutzung ’schlafenden‘ Muskeln durch Yoga Asanas aufgeweckt und wieder ins Bewusstsein des Übenden gerufen werden ?

a) Im Muskelgewebe

Die Aktivierung bzw Tonisierung von jahrelang nicht genutzten Muskeln erfolgt durch eine Streckung bzw Dehnung des Muskelgewebes. Dieser Dehnimpuls bewirkt, dass im Muskelgewebe die kleinsten Teile des Muskelgewebes gestreckt werden. Diese kleinsten Teile nennt man Sarkomere und sie bestehen aus Proteinen. Ihre Länge misst man in Mikrometer (1/Tausendstel eines Millimeters) wobei Sakomere i.d.R. eine Länge von 2  – 2,5 Mikrometer haben. Tausende davon hintereinander bilden einen Muskel. Durch wiederholtes Dehnen/Strecken wird der Prozess der ‚Längung‘ immer wieder aktiviert und am Laufen gehalten. Es geht beim Yoga also primär um ein Muskel-Längungstraining und nicht um den Umfang oder die Dicke der Muskeln. Allerdings ist zu sagen, dass durch das intensive und wiederholte Dehnen/Längen der Muskel an sich stärker und kräftiger wird.

Am besten ist es, wenn man die angesprochene Tonisierung der Muskeln im Abstand von 48 Stunden vornimmt. Dann hat man dem Körper ausreichend Zeit gegeben, die für die Längung notwendigen Proteine zu verarbeiten und an der richtigen Stelle im Muskelgewebe zu verwenden. Hinsichtlich der Proteine hier noch der Hinweis auf eine eiweißreiche Ernährung nach einer z.B. abendlichen Yogastunde. Gemeint ist dabei nicht die Schweinshaxe oder das Premium-Rindersteak sondern eher eine leichte Eiweißspeise wie Joghurt oder besser noch Magerquark.

b) Im Fasziengewebe

Neben dem eigentlichen Muskelgewebe wird durch das Dehnen / Strecken ein weiterer wesentlicher Typ des Bindegewebes beansprucht, nämlich die sog ‚Faszien‚. Dies sind hauchdünne weißlich schimmernde Gewebeschichten die wie Matten einen Muskel z.B. umschliessen und ihm seine Form und Struktur verleihen. Das Fasziengewebe ist an sich sehr elastisch und dehnbar. Benutzt man es nicht, dann zieht es sich zusammen, verliert Elastizität und einzelne Fasern bzw unterschiedliche Faszienschichten kleben zusammen.

Das Fasziengewebe wird wieder geschmeidig und ‚ent-klebt‘ wenn man es streckt, dehnt und drückt oder in anderen Worten ausgedrückt „sich bewegt“. Zudem liebt das Fasziengewebe Wärme und die Fasern bzw Faszienschichten lösen sich bei Wärme schneller voneinander.

Genau in diesen optimalen Zustand kommt das Fasziengewebe, wenn man durch Yoga Asanas seine Muskeln streckt, dehnt und sich bewegt. Durch die Muskelarbeit entsteht die Wärme, die den ‚Entklebungsprozess‘ verstärkt. Gleiche Effekte können übrigens erreicht werden durch tiefgehende Gewebemassagen und Arbeiten mit sog Faszienrollen und -bällen.

c) In Bändern und Sehnen

Grundsätzlich werden auch diese Gewebearten durch das Stretching positiv beeinflußt. Allerdings muss man die besonderen Funktionen dieser Gewebearten im Blick behalten.

Bänder sind starke Bindegewebe die zwei Knochen miteinander verbinden. Z.B Unterschenkel und Oberschenkel durch die Bänder rund um das Knie, oder linke Beckenhälfte und rechte Beckenhälfte durch die Bänder im unteren Rücken. Auch entlang der rückwärtigen Wirbelsäule verlaufen eine Vielzahl von Bändern, die unsere Wirbel zusammenhalten und den Oberkörper in seiner aufrechten Position halten.

Es handelt sich bei Bändern um sehr starkes und belastbares Gewebe, was allerdings – aus Stabilitätsgründen – nicht so schnell auf Dehnung reagiert wie z.B. das o.g. klassische Muskelgewebe. Es reagiert auch auf Wärme, muss aber erst langsam aktiviert und nicht überdehnt werden. Die meisten schwerwiegenden Sportverletzungen fallen in den Bereich der Bänderdehnung bzw des An-/Durch-risses von Bändern. Stark überdehnte Bänder ziehen sich i.d.R. nicht wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurück.

Die ebenfalls zum Bindegewebe zählenden Sehnen verbinden Muskelgewebe mit Knochen. Auch dieses Bindegewebe ist sehr stark bzw reißfest, kann aber durch schnelle unkontrollierte Bewegungen insbesondere bei noch nicht erwärmtem Körper zu Sehnenein- und -abrissen führen. Um dem vorzubeugen müssen die zu aktivierenden Muskeln langsam und gleichbleibend tonisiert werden und nicht blitz- bzw. ruckartig.

  • Kann  man durch ‚Falsch-Nutzung‚ veränderte Muskeln durch Dehnung wieder in eine normale/richtige  Position und Funktion zurückbilden?

Neben der Nicht-Nutzung ist die ‚Falsch-Nutzung‘ von Muskeln eines der großen gesundheitlichen Probleme unserer Zeit. Hierzu gehört insbesondere das lange Sitzen am Arbeitsplatz, im Auto, auf dem Arbeitsweg oder auch in der Freizeit. Unser Körper und insbesondere unsere Muskeln und das Bindegewebe sind nicht dazu geschaffen um derartig lange Still-Sitzphasen durchzuhalten. Der menschliche Körper ist für Bewegung geschaffen!

Durch langes Sitzen z.B. am Arbeitsplatz werden durch das Anwinkeln der Beine die Muskeln der Rückseiten der Beine verspannt und die Muskeln ziehen sich zusammen. Landläufig spricht man dann von einer ‚Verkürzung‘ der Muskeln obwohl pathologisch gesehen der Muskel nicht kürzer wird (sondern sich eben ’nur‘ zusammenzieht).

Durch das viele Sitzen werden zudem auch die sog. Hüftstrecker die für das aufrechte Stehen zuständig sind ‚verkürzt‘. Eine heutzutage übliche Bildschirmarbeit sorgt zudem dafür, dass der Oberkörper nach vorne geneigt wird (also ein sog. Rundrücken entsteht), der Nacken belastet wird durch den Blick auf den Monitor und der rechte Arm nach vorne gezogen wird durch die Nutzung der Computer-Maus.

Die vorstehend beschriebenen Haltungsfehler verursachen eine Vielzahl von muskulären Verspannungen die sich in verschiedensten Körperteilen niederschlagen können. Zudem besteht sowohl in der Lendenwirbel- wie auch der Nackenwirbelsäule die ernstzunehmende Gefahr von Bandscheibenvorfällen.

Yoga kann durch schonendes Dehnen der Muskeln und gleichzeitiger Stärkung der Muskulatur diesen Problemen entgegenwirken. Eine Vielzahl von Yoga Asanas wirken auf die Länge der ‚verkürzten‘ Beinmuskeln (insbesondere Rückseite/Hamstrings), den generellen Muskelaufbau in den Beinen, dem Torso, den Schultern und dem Nacken. Zudem werden die tief im Beckenraum liegenden Hüftstrecker durch gezielte Übungen gestreckt, der Körper wieder aufgerichtet und somit eine grundsätzliche Verbesserung der Körperhaltung erreicht. Nicht zu vergessen die grundsätzliche körperliche Entspannung die durch Asanas, Pranayama und Yoga-Tiefenentspannung erreicht wird.

Innerhalb der Muskeln und sonstiger Bindegewebsarten laufen dabei die oben erwähnten Prozesse rund um die Sarkomere ab.  Sportmediziner verweisen darauf, dass es eines Zeitraumes von mindestens 10-14 Wochen bedarf bis Resultate bemerkbar sind. Während dieses Zeitraumes sind Yoga Asanas wiederholend mehrmals wöchentlich durchzuführen.

Anmerkung: In der sportmedizinischen Literatur gibt es eine kontroverse Diskussion hinsichtlich des Sinnes und Erfolges von Stretching/Dehnung sowie der unterschiedlichsten Dehnmethoden insbesondere

  • in Verbindung mit anderen Sportarten,
  • als Vorbereitung auf andere Sportarten bzw.
  • zur Nachbereitung von anderen Sportarten.

Dieser Diskussion entzieht sich das Yoga, da es sich primär auf die Dehnung und Streckung fokussiert. Ob Yoga in Verbindung mit anderen Sportarten einen Nutzen bringt ist zunächst der individuellen Erfahrung des einzelnen Sportlers überlassen. Wie bereits erwähnt nehmen allerdings mittlerweile große Sportverbände und -Vereine Yoga ins Vor- bzw Nachbereitungsprogramm für ihre Sportler auf.